Der griechische Philosop Aristoteles definierte den Menschen als animal rationale. Das wurde vielfach so verstanden und übersetzt, als sei der Mensch ein vernünftiges Lebewesen. Das ist allerdings nicht der Fall. Er ist ein vor allem durch seine Antriebe und Emotionen getriebenes Wesen, das nur gelegentlich Spuren von Vernunft aufweist (Prost 2009).
Jeder Mensch manipuliert. Mal mehr, mal weniger. Manipulation ist fast schon ein menschlicher Instinkt. Dabei spielt sich Manipulation meist gar nicht auf der bewussten Ebene ab und ist auch per se nicht negativ. Erst nach dem zweiten Weltkrieg erhält dieser Begriff eine pejorative Konnotation, wird als etwas Schlechtes aufgefasst: „Der Begriff impliziert in der Regel Täuschung des anderen zum eigenen Vorteil“, schreibt beispielsweise Dr. Hilke Elsen, Dozentin an der LMU München.
Neben der Werbung wird vor allem in der Politik manipuliert. Denn da kommt nur der weit, der sprachlich überzeugen kann, Manipulation durch Sprache findet tagtäglich statt.
In der Plagiatsaffäre um Karl-Theodor zu Guttenberg musste dieser einige Rechtfertigungsreden halten. Vor allem die Rede Guttenbergs vom 18.02.2011, die er noch vor seiner endgültigen Überführung gehalten hat, beinhaltet viele offensichtlich manipulative Strategien. Der bis dato besonders vertrauenerweckende populäre Politiker muss sich gegen erste Anschuldigen wehren. Bezeichnend, dass er für die Rede die Öffentlichkeit meidet und sich lediglich einer kleinen Auswahl von Journalisten stellt, während die Mehrheit vergebens auf ihn in der Bundespressekonferenz wartet.
Die Rede mit all seiner manipulativen Sprengkraft
Wer gebildet wirken will, verwendet in der gesprochenen Sprache den Genitiv. Ich wage zu behaupten, der Dativ kommt in der Regel einfach so aus uns heraus. Der Genitiv jedoch wird, wenn er denn benutzt wird, bewusst eingesetzt. So bedurfte es für Guttenberg auch keiner Aufforderung, diese Rede zu halten. Damit betont er die Freiwilligkeit seiner Tat. Für diese Stellungnahme bedurfte es keiner Aufforderung und sie gab es auch nicht ist unpersönlich konstruiert, was die Aussage gültig und wahrheitsgemäßer erscheinen lässt. Natürlich ist das gelogen: Die Öffentlichkeit hat bereits ziemlich viel Druck auf Guttenberg ausgeübt. Das Auslassen von Informationen ist eine der prominentesten Manipulationsstrategien.
Schließlich spricht er von Meine von mir verfasste Dissertation. Hätte Guttenberg keine partizipiale Fügung, sondern lediglich von meine Dissertation gesprochen, so hätte er damit nicht betonen können, dass die Arbeit auch tatsächlich von ihm verfasst worden ist. Die Dopplung aus den Personalpronomen meine und mir, die beide auf ihn referieren, kommt auch nicht von ungefähr: Ja, lieber Leser, es kann keinen Widerspruch geben, das ist wirklich MEINE Dissertation und es gab auch keinen Ghostwriter. Auch der zweite Satz eine Lüge.
Superlative haben stets große manipulative Wirkung. Kein Wunder also, dass der damalige Verteidigungsminister die Vorwürfe mit allem Nachdruck von sich weist.
Sieben Jahre hat der CDU-Politiker für seine Arbeit gebraucht, denn parallel dazu hatte er einen Job und bereits ein politisches Amt inne. Der Klimax endet darin, dass er auch schon Familienvater war – und zwar junger Familienvater. Halt, das war ja noch gar nicht der Höhepunkt: Nein, neben all diesen harten Bedingungen entstand die Dissertation auch noch in mühevollster Kleinarbeit. Seltsam, warum er hier nicht von mühevollster Kleinstarbeit spricht. Aber der eigentlich stringente doppelte Superlativ kam dann wahrscheinlich selbst ihm bzw. seinen Schreibern nicht mehr glaubwürdig rüber. Er hat ein perfektes Bild eines mustergültigen Bürgers gezeichnet, der nichts dafür kann, wenn mal etwas daneben geht: Die von der Gesellschaft gestellten Aufgaben sind bei so großer beruflicher und privater Belastung einfach zu viel, deswegen enthält sie eben auch fraglos Fehler (hübsche Alliteration). Aber denken wir doch mal nach: Welcher Doktorand kann ausschließlich an seiner Dissertation arbeiten? Vermutlich mehr als die Hälfte muss mit ähnlichen Belastungen zurecht kommen. Man kennt das auch als „Herr Lehrer, entschuldigen Sie bitte, mein Hund hat meine Hausaufgaben gefressen!“. Durch die adverbiale Stützung der Aussage mit fraglos tut er gerade so, als sei es vollkommen normal, wenn eine Dissertation Fehler enthält. Klar, Fehler wird man wohl in vielen Dissertationen finden und sind auch nicht so schlimm, wenn es denn Formatierungs- oder Orthographiefehler sind. Aber Plagiat ist kein Fehler, sondern ein Delikt. Hat Guttenberg tatsächlich geglaubt, dass er mit dieser Mitleidstour davon kommt? Interessanterweise war die Meinung der deutschen Wähler nach der Rede gespalten. Viele hatte er von seiner Opferrolle überzeugen können. Denn er ist ja selbst am unglücklichsten (Vorsicht Superlativ!) und zwar nicht nur über jeden, sondern über jeden einzelnen Fehler. Ob die Reue tatsächlich echt ist? Guttenberg zeigt sich hier als Mensch mit Fehlern, aber auch als Politiker, der zu Verantwortung und Selbstkritik fähig ist. Und gerade Letzteres vermissen viele Wählerinnen und Wähler bei den politischen Akteuren.
Es wurde allerdings zu keinem Zeitpunkt bewusst getäuscht oder bewusst die Urheberschaft nicht kenntlich gemacht. Interessant, wie man mit einem einzigen Wort eine Lüge verdecken kann: Hätte Guttenberg auf bewusst verzichtet, wären beide Aussagen eindeutig falsch gewesen. Mal davon abgesehen, dass bald danach klar wurde, dass es sich um bewusste Täuschung gehandelt haben muss. Mit diesen Aussagen streitet er die Vorwürfe nicht ab, dennoch klingt es so. Indem er den Satz passiviert, steht er als Person quasi nicht mehr in der Verantwortung, der Satz wurde „entpersonalisiert“; durch die Passivierung wird eine Distanz zwischen ihm und dem Vergehen hergestellt.
Schließlich lässt Guttenberg uns wissen, dass er 1300 Fußnoten auf 475 Seiten platziert hat.
– Muss echt viel Arbeit gewesen sein bei so vielen Fußnoten und Seiten, da kann doch ein kleiner Flüchtigkeitsfehler passieren, geneigter Leser! –
Wer manipulieren möchte, verwendet Zahlen. Die sind abstrakt und werden erstaunlicherweise eher geglaubt als sprachliche Aussagen – selbst wenn sie nicht belegt sind. Dr. Hilke Elsen meint dazu:
Neben der Verklausulierung sachlicher Daten sind Zahlenspielereien ein sehr effektives Mittel, um eine Sache besser bzw. schlechter klingen zu lassen. Zahlen sind neutral und objektiv. Aber ohne einen konkreten Zusammenhang, aus dem eine Berechnung hervorgeht, sind sie nichts wert (Elsen 2009).
Und seien wir mal ehrlich: Wer nicht gerade eine Doktorarbeit anfertigt oder bereits den Doktortitel innehat, kann mit diesen Zahlen wenig anfangen, denn einen Vergleich mit anderen Doktorarbeiten stellt er nicht an – wahrscheinlich absichtlich. Jedenfalls klingt es nach viel und das ist es, was für Guttenberg und seine Schreiberlinge zählt: Bei so vielen Seiten und Fußnoten kann doch jedem mal ein Fehler unterlaufen. Er spricht von inkorrektem Setzen und Zitieren oder versäumtes Setzen von Fußnoten. Er sagt nicht falsches Setzen, sondern verwendet ein eigentlich positives Wort mit dem lateinischen Präfix in-, um es ins Gegenteil zu verkehren. Und versäumen klingt geradezu lapidar. Oft sollen sich Ereignisse oder Dinge „durch euphemistische Ersetzungen nicht mehr negativ anhören“, schreibt die Sprachwissenschaftlerin Dr. Elsen.
Und dann entschuldigt er sich sogar, aber nur bei denjenigen, die sich hierdurch verletzt fühlen sollten. Verletzt werden sich Plagiatsgegner wohl nicht fühlen, denn die Aufdeckung des Plagiats ist eine sachlich begründete. Durch die Verwendung dieses Ausdrucks unterstellt er den Kritikern jedoch statt wissenschaftlicher Motive persönliches Interesse.
Im weiteren Verlauf betont er, dass er bei der Aufklärung helfen werde. Aktionismus ist bei Politikern immer gerne gesehen. Durch das bereitwillige und vorübergehende Aufgeben seines Doktortitels vermittelt er, dass er sicher ist, den Titel bald wieder tragen zu dürfen. Es ist eine indirekte Unschuldsbeteuerung. Außerdem verzichtet er nicht wirklich auf den Titel, sondern auf das Führen des Titels. Kleine Unterschiede, die jedoch unterschwellig kommunizieren, dass er seinen Titel eigentlich behalten dürfte.
Im letzten Abschnitt stellt er heraus, dass er mit sich selbst streng ins Gericht gehen werde. Doch will er dies nicht öffentlich machen, sondern lediglich unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit der Universität Bayreuth. Denn die Menschen in diesem Lande erwarten, dass er sich wieder intensiv auf sein politisches Amt konzentriere. Auch ich bin ein Mensch in diesem Lande, aber habe ich damals tatsächlich von ihm erwartet, einfach so weiter zu machen, als sei nichts gewesen? Definitiv nicht. Man merke sich: Die Verallgemeinerung ist eine weitere beliebte Manipulationsstrategie.
Wie ich und meine Mitmenschen das erwarten, will er sich also wieder seinem fordernden Amt mit voller Kraft kümmern. Nicht umsonst war Guttenberg so beliebt: Ein Politiker, der Aktionismus zeigt, weckt selten erfüllte Sehnsüchte der Wählerinnen und Wähler. Warum er sich wieder voll und ganz der Politik zuwenden möchte, sagt er auch: Die historische Bundeswehrreform wartet, da ist für so ein Plagiat ja wirklich mal keine Zeit! Also was regen wir uns denn bitteschön so auf? Noch dazu wo Guttenberg Verantwortung für die Soldaten im Einsatz zeigen muss. Auf den ersten Blick bedeutet das: Papier gegen Menschenleben, was ist wohl wichtiger? Ein schiefer Vergleich, wenn man mich fragt. Und nun wird es noch unverschämter: Guttenberg spielt auf ein Ereignis an, das sich an dem Tag der Rede ereignet hat: Ein afghanischer Soldat zielt auf deutsche Soldaten. Drei starben, sechs waren teilweise schwer verwundet. Deutschland war geschockt. Diesen Schock missbraucht er, indem er seine Plagiatsaffäre mit dem militärischen Anschlag in Verbindung bringt. Dass das Plagiieren dadurch tatsächlich lapidar wird, ist Ergebnis seiner Manipulation. Denn nebensächlich ist das beileibe trotzdem nicht.
Der Druck auf Guttenberg wird in den darauffolgenden Tagen durch zahlreiche nun belegte Plagiatsstellen immer größer. Bereits am 21. Februar verkündet er, den Doktortitel doch dauerhaft ablegen zu wollen, nachdem er selbst noch einmal seine Doktorarbeit gründlich durchgegangen und auf Fehler gestoßen sei. Acht Tage später, am 1. März, tritt Guttenberg von seinem Amt als Verteidigungsminister zurück.
Der Blogeintrag ist eine Zusammenfassung einer von mir verfassten Seminararbeit vom 03.09.2012 mit dem Titel: „Manipulation in der Politik. Die Rede Guttenbergs vom 18.02.2011“. Wen das Thema interessiert, dem empfehle ich den Aufsatz „Manipulation aus sprachlicher Sicht – ein Überblick“ von Dr. Hilke Elsen, der 2009 in Wirkendes Wort 58 erschienen ist. Er ist nicht nur interessant, sondern lässt sich auch gut lesen. Das erste Zitat des Eintrages ist von Winfried Prost aus „Manipulation und Überzeugungskunst. Wie Sie andere gewinnen und sich vor Fremdsteuerung schützen“. Wer sich weniger für die sprachliche Komponente, sondern sich allgemein für Manipulation durch Sprache interessiert, dem sei dieses Buch empfohlen.
Lesen Sie hier mehr von Sprachschach.de: Sprache und Denken: ein Zusammenhang?
Titelbild: Gratisography.com
Pingback: Sarkasmus & Ironie: Unterschied - Sprachschach.de
Pingback: Das längste deutsche Wort - Sprachschach.de
Pingback: Vom Pferd erzählen: Herkunft & Bedeutung - Sprachschach.de
Pingback: Palindrom: Von Anna, Otto und seinem Hund Amo
Pingback: Griechenland erpresst Europa: Eine Schimpftirade.