– Ein Loblied auf den Dativ –
Da können wir echt mal erleichtert sein: Endlich hat unsere Sprache einen Sprachpfleger! Nämlich Bastian Sick, der sich mit dem Erfolg seiner Bestsellerbücher „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ selbst zum Sprachpfleger erklärte. Er schreibt in seinem Vorwort:
„[…] eine lebende Sprache lässt sich nicht auf ein immergültiges, fest zementiertes Regelwerk reduzieren. Sie ist im ständigen Wandel und passt sich veränderten Bedingungen und neuen Einflüssen an. Darüber hinaus gibt es oft mehr als eine mögliche Form. Wer nur die Kriterien richtig und falsch kennt, stößt schnell an seine Grenzen, denn in vielen Fällen gilt sowohl das eine als auch das andere.“
Wahnsinn! Da hat Bastian Sick genau das in Worte gefasst, was Studierenden der Linguistik Tag für Tag von ihren Dozenten eingebläut wird und doch heißt es für ihn: „Herr Sick, setzen, Sechs!“.
Denn was Schüler und Studenten können müssen, hat Sick nicht geschafft: Die mühsam erlernte Theorie praktisch anwenden. Aus einer Position der gefühlten Überlegenheit urteilt er über „falsches“ Deutsch. So zum Beispiel auch bei der Dativ-Possessiv-Konstruktion Dem Hans seine Frau. Das vom Sprachpfleger Sick verunsicherte Deutschland schreit auf: „Hilfe, unsere Sprache verarmt, wir verlieren unseren geliebten Genitiv! Der böse Dativ raubt dem Genitiv seine Funktion!“. Echt jetzt? Die Konstruktion Dem Hans seine Frau ist kein modernes Phänomen:
„Possessive Konstruktionen aus Dativphrase und Possessivum, auch als possessiver Dativ bezeichnet, sind seit Langem im gesamten deutschen Sprachraum nachweisbar […], eigenartigerweise bisher aber nicht in die geschriebene Standardsprache aufgenommen worden“ (Duden 2006).
Tatsächlich – es ist wirklich eigenartig. Denn der Dativ ist ein Allrounder, der Genitiv dagegen ganz schön zimperlich. Versuchen wir doch mal eine pränominale Konstruktion mit dem Genitiv: Der Genitiv soll also nicht erst nach dem „Besitzer“ folgen wie bei das Kleid der Sandra, sondern diesem vorausgehen, also Sandras Kleid. Jetzt ersetzen wir mal Sandra mit Firma. Ach, ich liebe *Firmas Kleider!
Hoppla, was ist denn das? Interessant – die Genitivkonstruktion ist gar nicht immer möglich, sondern nur bei Eigennamen und Verwandtschaftsbezeichnungen. Dem Dativ ist das dagegen vollkommen schnuppe, er nimmt, was ihm vorgesetzt wird: der Firma ihre Kleider.
Außerdem lässt sich die Dativkonstruktion beliebig ausbauen: der Sandra ihrem Kleid sein Schnitt. Okay, das mag sich jetzt vielleicht etwas holprig in unseren Ohren anhören, aber bestimmt nicht so schlimm wie *Sandras Kleides Schnitt. Da lasse ich aber gerne noch mit mir reden.
Jetzt sagt mir aber mal, wie viele Herrchen Müllers Hund Bello hat. Einen? Mindestens, denn vielleicht gehört er nicht nur dem Müller, sondern auch den Müllers? Nein, Bello ist doch dem Müller sein Hund. Aaaahhh, jetzt!
Nicht ohne Grund präferieren wir in vielen Fällen den Dativ: Er ist universal einsetzbar und kann Verhältnisse deutlich umreißen. Und dieses Mal ist nicht einmal das böse Englische schuld: Den pränominalen Genitiv (also Sandras Kleid) nennt man den angelsächsischen Genitiv. Miller’s dog ist aber auch deutlicher als das deutsche Müllers Hund: Die englische Sprachgemeinde kann zumindest im Schriftsprachlichen mit dem Apostroph anzeigen, um wie viele Millers bzw. Müllers es sich handelt – das fehlt uns (noch) im Deutschen. Der Genitiv-Apostroph befindet sich aber ja bereits auf dem Siegesmarsch, bei Personennamen erlaubt es der Duden mittlerweile sogar (wenn auch widerwillig). Perfide – Bettty’s Frisörsalon und Udo’s Bikergarage helfen vielleicht irgendwann dem deutschen Genitiv im Kampf gegen den Dativ!
Und wer jetzt immer noch sagt, die Dativ-Possessiv-Konstruktion wäre „a rechter Schmarrn, weil das war ja noch nie so und das haben wir doch ganz anders gelernt und wer sagt schon so einen Dativ-Schwachsinn“, der schlägt jetzt seine Märchenbücher aus der Kindheit auf:
„[…] heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hol ich der Königin ihr Kind; ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“!
Abschließend gesagt: Ich hoffe immer noch, dass ich Sicks Ironie vielleicht einfacht nicht verstanden habe. Wer übrigens mehr zu dem Thema Bastian Sick lesen möchte, dem lege ich André Meinungers Buch Sick of Sick? Ein Streifzug durch die Sprache als Antwort auf den „Zwiebelfisch“, das 2008 im Kulturverlag Kadmos erschienen ist, ans Herz. Mein Blogeintrag basiert darauf.
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