„The Power of Words“ lautet ein bewegendes Video auf YouTube. In diesem ist ein Blinder in einer Einkaufsstraße zu sehen, der mit seiner Papptafel „I’m blind. Please help!“ um Almosen bettelt – zunächst jedoch mit bescheidenem Erfolg. Schließlich taucht eine unbekannte Frau auf, ändert den Text auf seiner Tafel und plötzlich klingen die Münzen nur so im Hut des Protagonisten des Werbefilms. Was war geschehen? Die Dame hatte geschickt die Emotionen, die einzelne Wörter durch ihre Nebenbedeutung in uns Menschen hervorrufen, genutzt, um die Herzen und Geldbörsen der Passanten zu öffnen. Was sind diese „mächtigen“ Konnotationen, wovon hängen sie ab und warum verändern sie sich im Laufe der Zeit?
Dass Sprache nicht nur bewegend oder aktivierend wie in dem beschriebenen Video, sondern auch hemmend sein kann, beweist aktuell eine Studie der TU München. Diese hat ergeben, dass bei „männlichen“ Wörtern in Stellenanzeigen wie beispielsweise durchsetzungsstark, analytisch oder offensiv Frauen die Lust auf eine Bewerbung vergehen würde. Wörter, Sätze bzw. Satzgruppen, die neben ihrer Bedeutung im eigentlichen Sinn noch einen Beiklang haben – ob nun positiv oder negativ – gibt es viele. Als neulich wieder ein massenhafter Diebstahl von E-Mail-Adressen bekannt wurde, las ich auf dem Weg zum Bahnhof auf einem News-Display: „BSI arbeitet unter Hochdruck an einer Lösung“. Das wirkte wie eine Beruhigungspille auf mich, die haben alles im Griff, dachte ich mir. Und der ehemalige Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst bezeichnete den millionenteuren Neubau des Bischofssitzes seiner Diözese nicht als „protzig“, er bevorzugte das Adjektiv „wertig“. Auch die politische Sprache ist ein Kampf mit Wörtern um Wörter. Beispiel: „Kollateralschäden“ oder „Schwangerschaftsunterbrechung“.
Konnotationen abhängig vom Kulturkreis
Was ist das Besondere an den genannten Beispielen aus dem Alltag? An ihnen kann man gut den Unterschied zwischen den beiden sprachwissenschaftlichen Begriffen „Denotation“ und „Konnotation“ studieren. Vereinfacht gesagt lässt sich die denotative Bedeutung eines deutschen Wortes im Duden nachschlagen, d. h. sie steht für dessen Kernbedeutung und ist situations- und kontextunabhängig. Konnotationen hingegen sind auf der individuellen Ebene zu verorten, Wörter besitzen eine emotionale, stilistische oder wertende Nebenbedeutung. Beispiel: Die Denotation von „Kater“ ist „Männliches Haustier mit Pelz, das miaut“. Für eine Person, die in ihrer Kindheit stets von Katern gekratzt wurde, kann als Zusatzbedeutung jedoch „gefährlich“ hinzukommen. Eindeutig ist die Konnotation bei „Quacksalber“, die negativ ist und die Grundbedeutung überlagert. Gleiches gilt für den „Köter“, so dass „Hund“ und „Köter“ – obgleich die gleiche Sache bezeichnend – eigentlich keine echten Synonyme sind, da ein konnotativer Unterschied zwischen beiden Wörtern gemacht wird. Konnotationen des gleichen Wortes können nicht nur von einzelnen Personen, sondern auch von Personengruppen oder vom Kulturkreis abhängen.
Die Bedeutung eines Wortes ist nicht vom Himmel gefallen, sie kann sich durch neue Situationen und Kontexte, in denen es Verwendung findet, verändern. Damaris Nübling spricht in ihrem Buch „Historische Sprachwissenschaft des Deutschen: Eine Einführung in die Prinzipien des Sprachwandels“ davon, dass Wörter „geronnene Welterfahrung und Weltsicht der Sprechenden darstellen und sich ständig verändern“. Wer zum Beispiel in 100 Jahren den Versuch unternimmt, einen Text der heutigen Zeit zu übersetzen, wird sich sehr schwer tun – auch wenn die Wörter selbst die gleichen geblieben sind. Der semantische Wandel sorgt dafür, dass sprachliche Ausdrücke durch ihren Gebrauch eine Bedeutungsverschlechterung oder eine Bedeutungsverbesserung erfahren. So wurde beispielsweise das Adjektiv „billig“ in früheren Zeiten mit „angemessen“ verbunden, heute wird es mit „wertlos“ konnotiert. Diese Veränderung vollzieht sich oft unbemerkt und hat ihren Ursprung in einer Veränderung der sozialen Rahmenbedingungen.
Auf die Wortwahl achten
Als Autor eines Textes muss man sich bewusst sein, dass mit jedem Wort Konnotationen verbunden sind oder in den Köpfen der Leser aktiviert werden, die von Person zu Person und von Kultur zu Kultur ganz unterschiedlich sein können. Von Sidney Harris stammt das Zitat: „A writer needs an ear as much as a musician does.“ Die richtigen Worte sind für einen Autor ebenso entscheidend wie die richtigen Noten für einen Musiker. Er muss über ein gutes Gehör für Nebenbedeutungen, die in Begriffen stets „mitschwingen“, verfügen. Kehren wir am Schluss noch einmal zu dem „The Power of Words“-Video vom Beginn dieses Beitrags zurück. Letztlich hat der Bettler dank der Unterstützung durch die Frau dasselbe gesagt wie vorher – nur mit anderen Worten. Der Satz „It’s a beautiful day, but I can’t see it“ hat in den Köpfen der Menschen Emotionen hervorgerufen, die sie zu mehr Großzügigkeit animiert haben. Wenn man eine Lektion aus dem Gesagten mitnehmen sollte, dann diese: Achtet im Alltag auf eure Wortwahl und seid euch eurer „Macht“ über andere bewusst.
Fallen euch spontan Wörter ein, die früher positiv/negativ konnotiert waren und eine Bedeutungsverschlechterung bzw. -verbesserung erfahren haben? Oder kennt ihr andere Beispiele für den semantischen Wandel? Dann ab damit in die Kommentare! 🙂
Bild: © Ingo Bartussek – Fotolia.com
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