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Flüchtling, Refugee, Migrant: ein sprachlicher Drahtseilakt

Junger Mann in roter Jacke

Sprache kann viel, auch Realitäten verzerren und aufweichen. In der aktuellen Situation schwirren unzählige Bezeichnungen umher, von Flüchtlingen, Refugees oder auch Migranten ist die Rede. Die Politik wirft Bezeichnungen wie Gefährder, die verunsicherte Mitte oder das Pack in den Raum. Bei allen schwingt ein Nebenton mit. Daher stellt sich mir die Frage: Wie sieht es aus linguistischer Sicht aus? Was darf, was kann ich in den Mund nehmen? Und wie hält es das politische Establishment damit?

Terroristen sind Gefährder? Gefährder sind keine Terroristen?

Freimütig hält die Bezeichnung Terroristen für internationale Verbrecher her; eine Ableitung vom lateinischen terror, -oris (= Schrecken, Angst). Auch in Deutschland geschehen politisch motivierte Verbrechen, man denke nur an die vielen brennenden Flüchtlingsheime oder an die Gewaltverbrechen der NSU. Doch laut der Bundesregierung droht zwar Gefahr, nicht jedoch Terror (Schrecken oder Angst sind also unangebracht): Es gebe zwar Gefährder, nicht jedoch Terroristen in Deutschland (Video ab 3:33). Das hat dem DUDEN allerdings noch keiner gesagt. Sprachwissenschaftlich mit dem DUDEN zu argumentieren, ist zwar nicht das Nonplusultra, in diesem Fall mache ich das aber gerne. Denn der DUDEN definiert einen Terroristen als einen „Anhänger des Terrorismus; jemand, der Terrorakte begeht“. Terrorismus wiederum ist eine „Einstellung und Verhaltensweise, die darauf abzielt, [politische] Ziele durch Terror durchzusetzen“. Und Terror ist die „[systematische] Verbreitung von Angst und Schrecken durch Gewaltaktionen (besonders zur Erreichung politischer Ziele)“. Die Bundesregierung spricht jedoch lieber von Personen, von denen potenziell Gefahr ausgeht, und nicht von Terroristen, die gefährlich sind. Warum das Kind beim Namen nennen und damit politische Inaktivität entblößen?

 

Verunsicherte Mitte und das Pack

Politische und soziale Realitäten semantisch so darzustellen, wie sie sich tatsächlich verhalten, gehört aktuell nicht zur Stärke der deutschen Politikvertreter. So spricht Sigmar Gabriel von der verunsicherten Mitte, die sich nicht so recht positionieren mag bzw. aus der die Ich-bin-kein-Rassist-aber-Menschen stammen (Anmerkung der Verfasserin: Bin ich dann eigentlich links, wenn die Mitte sind?). Auch die Bezeichnung Pack für rechts gesinnte Mitbürger entspringt Gabriels Worten. Und verfehlt damit gänzlich, dass auch Vertreter des Bildungsbürgertums mit rechtem Gedankengut aufblühen (dazu finden Sie hier einen pointierten Artikel: Pack, Vertriebene und die verunsicherte Mitte auf sprachlog.de).

Wir sind die Vertriebenen, die sind Flüchtlinge

Weiteres scheint mir augenfällig: Von meinen sudetendeutschen Großeltern sprachen wir selten von Flüchtlingen, sondern meist von Vertriebenen; sie wurden von Haus und Hof vertrieben. Wenn ich jedoch die großelterlichen Erzählungen Revue passieren lasse, so wurden zumindest die meinigen nicht aktiv (also mit vorgehaltener Waffe) vertrieben, sondern sie flohen schlichtweg. Die Angst vor Tod und Vergewaltigung ließ sie ihre Heimat verlassen. Hier darf aus Respekt der Betroffenen kein Vergleich in beide Richtungen gezogen werden, doch warum zählt für diese der Status der Vertriebenen (passiv!), denen keine andere Wahl gelassen wurde, und für Nicht-Deutsche der Status des Flüchtlings (aktiv!), der floh und dem dann auch noch das ling-Suffix widerfährt, in dem nicht nur diminutive, sondern auch pejorative Strahlkraft steckt.

Kategorie Wirtschaftsflüchtling

Dass meine Großeltern in einer ländlichen Gegend aufgewachsen sich plötzlich einer viel ausgebauteren wirtschaftlichen Infrastruktur gegebenüber sahen und vom Wirtschaftswunder in der Nachkriegszeit profitierten, muss ich nicht dazu sagen. Waren sie also zwar nicht primär, aber retrospektiv auch Wirtschaftsflüchtlinge? Zumindest muss man diese armselige Annahme haben, wenn in aktuellen Diskussionen von Wirtschaftsflüchtlingen die Rede ist. Wer setzt die Definitionen für bedrohtes Leben? Ist es die Verstümmelung am eigenen Leib oder zumindest die Bedrohung, ist es Hunger, ist es vielleicht einfach „nur“ der nachvollziehbare Traum von einem besseren Leben? Sind denn auch Spanier, die hier eine Ausbildungsstätte suchen, Wirtschaftsflüchtlinge? Und sind die „Goodbye-Deutschland“-Auswanderer der gleichnamigen RTL-Show ebenfalls Flüchtlinge, wenn nicht sogar infame Wirtschaftsflüchtlinge?

Ei, die Wanderslust!

Also doch lieber von Migranten sprechen und so zumindest politisch korrekt antworten? Aber im gleichen Atemzug die Tragödie der unzähligen Syrer, Roma, Eritreer, Afghanen, Iraker herunterspielen; Migrant vom lateinischen Verb migrare. Migrare, das (aus-)wandern, wegziehen bedeutet. Gänzlich deplatziert.

Der Gutmensch und der Mensch

In der aktuellen Situation sehen wir uns hochphilosophischen Fragen gegenüber. Was ist der Mensch, fragt sich die Gesellschaft. Gut, böse? Muss ich vom Gutmenschen sprechen, wenn doch das Adjektiv menschlich vielmehr nahelegt, dass es sich hierbei um eine Tautologie handelt, Gutmensch also stilistisch ebenso wie weißer Schimmel zu behandeln ist? Ein Teufel ist nicht menschlich, Mitgefühl und Barmherzigheit schon.

Politische Korrektheit

So sehr ich Sprache liebe, sie ist auch vermaledeit. Ich befinde mich in einem linguistischen Hexenkessel. Ich weiß nicht ein, nicht aus. Also leihe ich mir das englische Wort refugee und ziehe mich aus der Verantwortung. Dass dies auch aus dem Lateinischen stammt, nämlich von refugere (= fliehen, zurückweichen), klammere ich aus. Und vor allem, dass das Refugium verwandt dazu ist. Deutschland als Unterschlupf und Rückzugsort. Trifft die Sache in ihrer brutalen Härte nicht ganz. Anatol Stefanowitsch sieht hier jedoch den Vorteil, dass es „den SICHEREN ORT in den Vordergrund stellt, den die so Bezeichneten suchen“. Der Professor schlägt außerdem die Bezeichnungen Geflüchtete, Schutzsuchende oder Zufluchtsuchende vor (siehe hier). Über die Frage, welche denn nun die adäquatere Bezeichnung ist, muss ich meine Gedanken noch kreisen lassen. Bis dahin hilft wie immer am besten: weniger über Political Correctness nachdenken, sondern anpacken!

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Aufgewachsen in einer bayerischen Kleinstadt, in der (leider) wenig Bairisch gesprochen wird, nahe der Weißwursthauptstadt München entdeckte ich während meines Lehramtsstudiums die Linguistik für mich. Das Lehramtsstudium gibt es jetzt nicht mehr, die Linguistik ist geblieben. Im Sommer 2013 habe ich meinen Magister in der Linguistik, in DaF und der Lateinischen Philologie abgeschlossen und arbeite seither in der Onlinebranche. Der Blog und damit auch die Linguistik sollen bleiben. Weitere Infos über mich findet man auf Google+ und Twitter.

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