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Geil: Bedeutung und Etymologie des Tabuworts

Mann, der erschrocken schaut

Die virale Kampagne ‚Supergeil‘ gesungen von Friedrich Liechtenstein für eine deutsche Supermarktkette schwirrt dank der Werbeagentur Jung von Matt durch alle sozialen Kanäle. Aber woher kommt eigentlich geil, das Wort mit dem mehr als obszönen Touch, welches wir weder im Kindergarten noch in der Schule sagen durften – es aber umso lieber taten?

Von geil bis oberaffentittengeil

Das Adjektiv geil wird vor allem in der Jugendsprache oft und gerne verwendet und findet sich nicht nur in Kombination mit super, sondern scheint recht produktiv in der Steigerung seiner selbst zu sein:  Von so geil über richtig geil bis hin zu oberaffentittengeil und jüngst leider geil kennen wir es in zahlreichen Kombinationen.

Geil als „aufschäumend beim Garen“

Bereits im Althochdeutschen kannte man das Adjektiv geil, allerdings hieß es dort „aufschäumend beim Garen“ und hatte noch nichts mit der sexuellen Bedeutungsweise zu tun, sondern stammte aus dem kulinarischen Bereich. Waren zunächst also Lebensmittel gemeint, übertrug man diese Eigenschaft auf Menschen. Wer hochgestimmt, aber auch überheblich war, wurde als geil bezeichnet.

Geil, Geschlechtsverkehr & bumsen

Im Mittelhochdeutschen Wörterbuch, das den Zeitraum von 1070 bis 1450 umfasst, lassen sich für geil weitere Bedeutungen ausmachen, die im Laufe der Zeit hinzukamen. So kann geil nun zusätzlich zu den bereits präsenten Bedeutungen auch einfach nur fröhlich und glücklich meinen ebenso wie stolz, wild, ungestüm. Im Mittelhochdeutschen dürfte auch die sexuelle Konnotation hinzugekommen sein, denn es bildet sich die weitere Bedeutung sinnlich und lustvoll heraus. Das mag nicht überraschen, werden doch häufig Tabuthemen mittels neutraler Worte ausgedrückt. Das klinisch reine Wort Geschlechtsverkehr muss als Worthülse für Sex herhalten und so bumst, nagelt & fickt man nicht, sondern schläft miteinander. Und geben Sie es zu, jetzt hat es Sie ein klein wenig gerissen. Die Peinlichkeit der Bedeutung übertüncht man in der Öffentlichkeit durch einen neutralen meist bildlichen Begriff. Nun passiert es allerdings, dass vormals neutrale Wörter gar nicht mehr so neutral sind, wenn sie für Tabuthemen „dauerhaft ausgeliehen werden“. Das sieht man an bumsen, denn objektiv betrachtet ist die Bezeichnung gar nicht obszön, sondern irgendwie ziemlich niedlich (vgl. der Bums = der Schlag oder bumsvoll).

Von der Neben- zur Hauptbedeutung

Und ebendas geschah mit geil. Im Althochdeutschen noch neutral-positiv, entsteht im Mittelhochdeutschen zusätzlich eine negative Konnotation. Der Bezeichnete kann damit nicht nur als sinnlich und lustvoll bezeichnet werden, sondern auch als gierig und zwar nach sexuellen Handlungen (Haben Sie’s gemerkt, auch ich verwende Worthülsen!). Wird einem im 15. und 16. Jahrhundert die Eigenschaft geil zugeordnet, bedeutet dies unter Umständen sogar, als schamlos und unkeusch angesehen bzw. abgewertet zu werden (vgl. du geiler Bock)! Das nimmt so seinen Fortgang, die sexuelle Nebenbedeutung wird immer stärker, im prüden 19. Jahrhundert schließlich wird geil tatsächlich als Tabuwort angesehen, die sexuelle Neben- wird zur Hauptbedeutung.

Nicht nur Harald, auch das Video ist geil

Interessant ist, dass geil (ebenso wie scharf) mittlerweile nicht nur – wie in anderen Sprachen – jemanden bezeichnet,  der momentan erregt ist, sondern auch eine Person, einen Gegenstand etc., der erregt, der also auslösendes Moment ist! Das können beispielsweise die umgangssprachlichen Synonyme rallig, gamsig oder das englische horny nicht. Harry kann zwar horny sein, nicht aber das Video, das er sich gerade anschaut. Im Deutschen können sowohl Harald als auch das Video geil sein. Aber nur Harald rallig.

Geil nutzt sich ab

Warum aber ist geil mittlerweile ein Modewort und wird vor allem in der Werbung oft und gerne verwendet (Supergeil, Geiz ist geil), war es doch im 19. Jahrhundert dermaßen tabuisiert, dass es beinahe ganz aus dem Wortschatz verschwand?

Dass Wörter ihre Bedeutung ändern oder  zusätzliche Konnotationen mit der Zeit erfahren, ist ein ganz normaler Prozess. So können nicht nur vormals neutrale Bedeutungen zu Tabuwörtern werden, auch Tabuwörter können durch den häufigen Gebrauch zu neutralen Wörtern avancieren, die beschämende Bedeutung nutzt sich ab. Das merken wir auch an geil: Isoliert wirkt es mittlerweile ziemlich fad, da müssen dann schon supergeil, leider geil oder oberaffentittengeil herhalten. Warum fährt uns das Wörtchen geil nicht mehr in Mark und Bein, wie es noch bei unseren Vorfahren wirkte? Die Jugendsprache dient in unserem Fall als Katalysator & führt zur allmählichen Akzeptanz innerhalb der gesamten Sprachgemeinschaft: „Eine Methode zu imponieren – sie ist unter Jugendlichen besonders beliebt – besteht darin, sich besonders farbig und expressiv auszudrücken“, schreiben Rudi Keller und Ilja Kirschbaum. Und was ist besonders farbig, expressiv und verstörend? Eben, ein Tabuwort. Und jetzt muss ich Ihnen ganz bestimmt auch nicht mehr erklären, warum die Werbung das Wort so gerne einsetzt.

 

Hier können Sie das Originalvideo anschauen und -hören, das es bereits vor dem Werbespot gab und die Agentur Jung von Matt für den Werbespot inspirierte:

 

So neu ist die Idee übrigens gar nicht, aus geil ein Lied zu machen. Schon 1986 sangen Bruce & Bongo ihr Lied Geil. Damals ein Nummer-1-Hit in Deutschland und vermutlich schockierender als heute!

 

Die Illustration „Gefühlte Wahrheit (21)“ vom Süddeutschen Zeitung Magazin gibt uns Aufschluss über Modewörter und deren Verbreitung. Sehenswert!

Wollen Sie mehr zum Thema Sprachwandel lesen? Dann habe ich hier hoffentlich das Richtige für Sie: Lassma jetzt was über Kiezdeutsch schreiben, musstu dann aber auch lesen!

Quellen:

Beate Hennig (2007): Kleines mittelhochdeutsches Wörterbuch.

Constanze Fiebach/Goethe-Institut (2009): Von „aufschäumend beim Garen“ zum sexuellen Tabuwort: das Adjektiv „geil“.

Rudi Keller/Ilja Kirschbaum (2003): Bedeutungswandel: eine Einführung.

 

Foto: © Photosebia – Fotolia.com

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Aufgewachsen in einer bayerischen Kleinstadt, in der (leider) wenig Bairisch gesprochen wird, nahe der Weißwursthauptstadt München entdeckte ich während meines Lehramtsstudiums die Linguistik für mich. Das Lehramtsstudium gibt es jetzt nicht mehr, die Linguistik ist geblieben. Im Sommer 2013 habe ich meinen Magister in der Linguistik, in DaF und der Lateinischen Philologie abgeschlossen und arbeite seither in der Onlinebranche. Der Blog und damit auch die Linguistik sollen bleiben. Weitere Infos über mich findet man auf Google+ und Twitter.

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