Alles klar? Eine Arbeitsgruppe mit Namen „Feministisch Sprachhandeln“ der Humboldt-Universität hat jüngst einen Leitfaden für eine genderneutrale und somit gerechtere Sprache herausgebracht: So sollen beispielsweise männlich assoziierte Suffixe wie das -er in Lehrer durch ein neutraleres -a oder auch -x ersetzt werden. Ziel soll es sein, mit seinen Sprachhandlungen weder Frauen, Ausländer noch Menschen mit Behinderung zu diskriminieren. Auf viel positive Kritik stößt dieser Vorschlag nicht. Aber warum eigentlich? Dass Sprache manipulativ sein kann, ist kein Geheimnis.
Kritisiert wird am Berliner Projekt viel, so schreibt ein Blogger: „Ich für meine Person möchte niemanden diskriminieren […]. Doch ich musste mir bei der Lektüre dieser gequirlten Sch** (mein verstorbener Vater verzeihe mir) neben dem nicht enden wollenden Kopfschütteln, doch immer wieder reflexartig zwischen die Beine greifen“. Ein anderer wettert: „Diese feministische Doktrin […] fällt dadurch auf, dass man leicht die Nerven verlieren möchte ob des Schwachsinns, der damit verbunden ist“. Hauptgegenstand der Kritik ist die erschwerte Lesbarkeit. Und das mag keiner anzweifeln, nicht einmal Lann Hornscheidt, Professorin bzw. Professx für Gender Studies und skandinavistische Linguistik am Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien der HU Berlin. „Natürlich irritieren solche Formen, darum geht es ja. Überlieferte Normen in Frage zu stellen, das eigene Sprachhandeln zu hinterfragen und Sprache kreativer zu benutzen“, soll laut Lann Hornscheidt im Interview mit Spiegel Online eine der Absichten sein.
Auch an der Universität Leipzig beschloss der Senat bereits im Sommer 2013, Sprache neutraler zu gestalten. Oder vielmehr weiblicher. In der Grundordnung werden seitdem Funktionsbeschreibungen stets in der weiblichen Form genannt. So ist beispielsweise nicht mehr von Professoren, sondern nur noch von Professorinnen die Rede. Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin, heißt das gut. Das Grundproblem sei, „dass wir Frauen im gängigen Sprachgebrauch benachteiligen, indem wir männliche Bezeichnungen, das sogenannte generische Maskulinum, wählen, auch wenn beide Geschlechter gemeint sind.“ Obwohl beim Leipziger Vorstoß die Lesbarkeit sehr einfach ist – es handelt sich ja lediglich um das hinzugefügte weibliche Suffix – wird auch hier Kritik laut. Stefanowitsch resümiert: Die Leipziger Sprachinitiative „erzeugt Irritationen, und der erste Impuls ist, den angeblich unterdrückten Männern zu helfen. Die meisten Kritiker machen sich nicht klar, dass 99 Prozent aller Gesetzestexte, Verordnungen und Universitätssatzungen die männliche Form als allgemeingültig darstellen. Das ist genauso ungerecht. Viele Männer fühlen sich laut psycholinguistischen Untersuchungen schon benachteiligt, wenn beide Geschlechter genannt werden“ (beide Zitate von Spiegel Online). Man denke nur an oben genannten Blogger, der sich beim Lesen der Vorschläge der Berliner Arbeitsgruppe regelmäßig zwischen seine Beine greifen müsse, so als wäre es gleichsam ein Angriff auf seine Männlichkeit.
Doch warum streiten sogar Linguistikprofessoren (und nicht etwa nur Feministinnen) für eine gendergerechte Sprache? Ursprünglich war mit Genus überhaupt nicht das natürliche Geschlecht (=Sexus) gemeint, sondern war nur eine grammatische Kategorisierung. „Aber einige findige Wissenschaftler […] kamen darauf, den maskulinen Wörtern Eigenschaften der Männer zuzuordnen und damit Genus und Sexus zu vermengen, wobei das Maskulinum höherwertig war“ schreibt Hilke Elsen in ihrem Aufsatz „Frauen sind nicht mitgemeint – ein Abriss“. Jacob Grimm (1785-1863) war nur einer unter vielen, der dem männlichen Genus den Vorzug gab und den Geltungsbereich auch auf Frauen ausfächerte, denn das männliche sei ja durchaus „besser“ (nach Hellinger S. 62). Das männliche Genus wurde bewusst und manipulativ eingesetzt: „Um Frauen von wichtigen Ämtern ausschließen zu können, durften, so in der Frankfurter Nationalversammlung 1849, Pronomen etc. nur männlich verstanden werden, also nicht generisch“, so Elsen. Sie zitiert den damaligen Abgeordneten Scheller: „Ebenso kommt in den Grundrechten die Bestimmung vor, daß Jeder, der fähig sei, ein Amt antreten könne, es wird aber niemand in der Versammlung einfallen, dieß Recht auch dem weiblichen Geschlecht einzuräumen“ (S. 6).
Im Konflikt stehen fortan generische Maskulinformen, also solche, die auch für weibliche Personen stehen können, und Maskulinformen, die tatsächlich nur männliche Personen beschreiben. Etliche Untersuchungen zeigten, dass Probanden beim generischen Maskulinum tatsächlich mehr an männliche Personen denken als an beide gleichwertig. Und auch Stefanowitsch beschreibt im Sprachlog eine Studie von Gygax et al (2008) zum generischen Maskulinum, was ihn zur These bringt: „Selbst dort, wo die Versuchspersonen bereit waren, das Maskulinum generisch zu interpretieren und einen zweiten Satz über Frauen als ‚mögliche Fortsetzung‘ zu interpretieren, brauchten sie für diese Entscheidung länger; das zeigt, dass die generische Interpretation nicht spontan erfolgte, sondern erst nach einer Art strategischem Umdenken“. Würde ich Sie fragen, wer Ihr Lieblingsautor ist, würden Sie mir tatsächlich spontan auch weibliche Autoren nennen? Das ist bei diesem Beispiel harmlos, kann aber z. B. wenn es sich um einen Nachfolger (und nicht explizit Nachfolgerin) für eine wichtige Position in einer Firma handelt, diskriminierende Züge erhalten. Ohne Absicht der Beteiligten, unsere kognitive Sprachverarbeitung schlägt uns hier ein Schnippchen. „Die Geschlechtsneutralität des generischen Maskulinums ist damit widerlegt, da es eindeutig zu einem geringeren gedanklichen Einbezug von Frauen führt“, schreibt Elsen (S. 8).
Bezeichnend ist indes auch, dass einige Berufsbilder tatsächlich in ihren Frühformen nur weibliches Genus aufwiesen, wie beispielsweise die Politesse, die Hostess oder die Krankenschwester. Und wenn Berufsbezeichnungen rein weiblich sind, so ist das mit Sicherheit markiert und nicht „normal“. Und auch heute noch ist sehr wenigen bekannt, wie die männliche Form der Politesse lautet. Nur warum beschränken sich derartige rein weibliche Berufsbezeichnungen nur auf solche, die ein geringeres soziales Ansehen haben als beispielsweise ein Polizist oder ein Arzt?
Wir müssen nicht darüber streiten, dass der Vorschlag der Arbeitsgruppe Feministisch Sprachhandeln für eine Sprache, die in erster Linie der Kommunikationen dient, nicht wirklich zweckmäßig ist. Und auch dass eine künstliche Verordnung, wie Sprache zu sein hat, nicht wirklich zielführend sein kann. Trotzdem hat die Gruppe um Lann Hornscheidt einen wichtigen Beitrag zur Diskussion geleistet. Und gerade dass dieses Thema auf so kontroverse Meinungen trifft, zeigt, mit wie vielen Emotionen es behaftet und vor allem aus seiner Vergangenheit belastet ist – denn so neutral, wie „man“ denkt, ist das generische Maskulinum nicht.
Hier finden Sie ein ähnliches Thema: Der oder das Blog, das ist hier die Frage. Oder: Die Genuszuweisung bei Anglizismen im Online-Marketing.
Quellen:
Feministisches Sprachhandeln (siehe Textlink)
Spiegel Online (siehe Textlinks)
Agitano-Blog (siehe Textlink)
Differentia-Blog (siehe Textlink)
Anatol Stefanowitsch (14.12.11): Frauen natürlich ausgenommen. In: Sprachlog (siehe Textlink).
Elsen, H. (2011): Frauen sind nicht mitgemeint – ein Abriss. In: Margit Weber (Hrsg.): Frauenstudien 24. München.
Hellinger, M. (1990): Kontrastive feministische Linguistik. Mechanismen sprachlicher Diskriminierung im Englischen und Deutschen. Ismaning.
Pingback: Korinthenkacker und Pedant: So werden Sie einer!