Artikel
0 Kommentare

Griechenland erpresst Europa. Warum wir auf keinen Fall anderer Meinung sein dürfen. #VorsichtManipulation

Erpesser mit Bananenpistole

Ich konnte es kaum glauben, als am Samstag gleich neben der Fußgängerampel folgende BILD-Überschrift prangte: Griechenland erpresst Europa! Was? Jetzt erpressen uns die auch noch?

Letzteres wird intuitiv in die Köpfe vieler geschossen sein. Und genau deswegen sitze ich jetzt hier und tippe drauflos. Denn das ist bodenlos! Ja geradezu unverschämt, was die mit uns machen. Behandeln uns wie naive Dummköpfe, die auf ihre Masche hereinfallen sollen. Denken, wir würden ihnen ihre frechen Aktionen abkaufen. Tun so, als könnten wir uns keine eigene Meinung bilden. Das können wir nicht auf uns sitzen lassen!

Liebe Medien, hört auf, uns für dumm zu verkaufen! Hört auf, unseren europäischen Freund schlechter zu machen, als er ist. Hört auf, eure Macht auszunutzen!

Es ist absolut unerhört, was wir da lesen müssen und was dankenswerterweise von Carsten Weikamp auf nachdenkseiten.de zusammengestellt worden ist (nachfolgend nur ein Auszug, die volle Länge finden Sie hier und sollten Sie unbedingt lesen):

Retweet von Florian Hahn (MdB, CSU): Wenn Sie keinen Mumm haben zu entscheiden, sollen wir unsere Bürger auch über Hilfe entscheiden lassen Mr #Tsipras? (BILD)

Giannis Varoufakis, der griechische Finanzminister und allwissende Professor, weiß auch jetzt bestens Bescheid […]. (FAZ)

Dass alle anderen Euro-Staaten nun wirklich die Faxen dicke haben, ist am Samstag mehr als deutlich geworden. (FAZ)

Die Gläubiger haben sich lange geduldig gezeigt, doch mit der neuesten Provokation aus Griechenland, war das Spiel aus. (Focus)

Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras will sich den neuen Reformplänen der EU nicht beugen und setzt deshalb einfach den Gläubigern die Pistole auf die Brust. (Focus)

Gelingt es Tsipras, mit diesem Trick die Geldgeber zu zahmeren Reformen zu bewegen?

Ja, sie nerven, die Griechen. (SPIEGEL)

Alexis Tsipras und die anderen Superexperten in Athen schlagen immer neue Haken […]. (SPIEGEL)

Griechenlands Regierungschef ist ein doppelzüngiger und boshafter Charakter. (Stern)

Alle Geschichte beruht auf Klassenzimmerkämpfen: Varoufakis, Zizek und die G-7-Protestierer betreiben kindliches Kasperletheater. Aber Politik ist nun mal ein Erwachsenenspiel. Findet Euch damit ab! (Die Welt)

Ähm hallo? Geht’s noch? Nicht nur, dass die medialen Aussagen so negative Wörter wie Geiselhaft, Provokation, Pistole, Tricks etc. beinhalten, Tsipras wird zudem jede Menge unterstellt und dies dem Leser derart dargestellt, als gäbe es nicht den Hauch einer anderen Handlungswahrscheinlichkeit: „Doch sie sind nicht die einzigen, die Tsipras in Geiselhaft zu nehmen gedenkt“ (Süddeutsche.de). Würde so etwas in der Schule passieren, würden genannte Medienhäuser auf der Stelle mitsamt Verweis zum Schlichter beordert werden, und zwar zum Thema Mobbing.

Mit jedem Wort, das wir benutzen, können wir Meinungen lenken. Je mehr Macht und Ansehen eine Institution oder eine Person besitzt, umso mehr kann ihre Sprache beeinflussen. Schon allein, dass ich diese beiden Sätze gar nicht erst infrage stelle (ich verwende Indikativ und einen Aussagesatz), habe ich in gewisser Weise manipuliert. Vielleicht nicht jeden, aber viele. Für weitere 40 Prozent hätte ich hinzufügen müssen: Das ist wissenschaftlich gut und gründlich untersucht worden. Die letzten 20 Prozent überzeuge ich durch die Prozentangaben. Aber da ich mich in meinem Studium tatsächlich viel mit Sprachmanipulation auseinandergesetzt habe, möchte ich die ersten beiden Aussagen dieses Absatzes gar nicht erst infrage stellen. Denn für mich sind sie wahr.

Wahrheit ist jedoch sehr subjektiv und das ist auch gut so. Jeder darf ein wenig lenken, denn nicht nicht zu beeinflussen, ist gar nicht erst möglich (wie Sie an obigem Beispiel sehen). Wenn jedoch große und namhafte Zeitungen dazu übergehen, zu manipulieren und sogar offensichtlich zu beleidigen, und damit ja auch für uns sprechen (zumindest muss das so bei den Griechen ankommen), dann finde ich das ganz und gar nicht in Ordnung. Genauso wie es ein Unding ist, dass unsere größte Sorge, wenn es nach der deutschen Medienlandschaft geht, die individuelle Bargeldversorgung im nächsten Griechenlandurlaub ist. Und es stellt sich mir die Frage, warum man partout will, dass wir deutschen Leser und Leserinnen antigriechisch eingestellt sein sollen? Denn nicht nur die BILD, von der man solches Verhalten durchaus gewohnt ist, sondern fast die gesamte Medienlandschaft macht mit. „Schon seit ihrer Wahl Ende Januar wurden die Exponenten der griechischen Regierung mit Polemiken und sachfremden Anfeindungen überzogen. Seit Alexis Tsipras in der Nacht zum Samstag nun angekündigt hat, ein Referendum abhalten zu wollen, gibt es kein Halten mehr. Offen feindselige und nicht selten persönlich beleidigende Tiraden scheinen jetzt unabdingbar zum guten Ton zu gehören“, meint Carsten Weikamp dazu.

Wenn wir so über Tsipras und Griechland denken, können wir uns den europäischen Gedanken in die Haare schmieren. Vielmehr sollten wir darüber nachdenken, warum die Griechen und nicht spekulative Trader mit derartigen Beleidigungen beworfen werden. Denn genau diese begrüßen eine solche Krise, weil es ihnen einen Haufen Geld in die Kassen spült, wenn sie sich den wirtschaftlich Schwächsten in Europa vornehmen und ihn ausweiden. Und wir sollten darüber nachdenken, warum der europäische Wirtschaftsmarkt immer noch nicht stärker kontrolliert wird, da er offensichtlich in der jetzigen Form zum Scheitern verurteilt ist. So haben private Banken für billiges Geld griechische Staatsanleihen gekauft, als Griechenland nach dem Crash dringend Geld benötigt hat. Nun wollen und dürfen sie diese nach internationalem Recht (!) wieder teuer einlösen. Für Geld, das die Griechen nicht haben und sich daher von der EU leihen müssen. Das kann nicht funktionieren. Als nächstes steht dann also Portugal auf unserer Mobbingliste. Oder Irland. Oder Spanien. Ciao Europa, hello Rückstand!

Weitere Hintergrundinfos zum Thema Griechenlandkrise finden Sie hier:

Trader on the BBC says Eurozone Market will crash (2011):

Ex-Banker: „Wir können ganze Staaten gezielt vernichten“ (2014)

EU-Finanzminister streiten über Griechenland-Rettung (2011)

Was Griechenland jetzt noch vom Euro-Aus trennt (Februar 2015)

Der Banker – Master of the Universe (2014)

Weitere Artikel zum Thema Sprachmanipulation auf Sprachschach finden Sie hier:

Wie Guttenberg sich zum Opfer stilisiert

Wahlkampfthema ‚Sprache‘ in der Europawahl 2014

Und weil helfen so viel mehr Spaß macht, hat sich ein Engländer Folgendes ausgedacht: Wenn jeder Europäer 3 Euro spendet, kann Griechenland gerettet werden. Bürger spenden für Griechenland.

Bild: Gratisography.com

Veröffentlicht von

Aufgewachsen in einer bayerischen Kleinstadt, in der (leider) wenig Bairisch gesprochen wird, nahe der Weißwursthauptstadt München entdeckte ich während meines Lehramtsstudiums die Linguistik für mich. Das Lehramtsstudium gibt es jetzt nicht mehr, die Linguistik ist geblieben. Im Sommer 2013 habe ich meinen Magister in der Linguistik, in DaF und der Lateinischen Philologie abgeschlossen und arbeite seither in der Onlinebranche. Der Blog und damit auch die Linguistik sollen bleiben. Weitere Infos über mich findet man auf Google+ und Twitter.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.