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Wie Sie in 10 Schritten in Konversationen zum Korinthenkacker werden

Korinthenkacker nerven

Sie legen Wert auf korrekte Sprachbeherrschung und -verwendung? Doch was ist in der gesprochenen Sprache richtig und was falsch? Korinthenkacker oder auch Pedanten (franz.: pédant = Schulmeister, das leitete sich ab von ital. pedante) legen die gleichen Maßstäbe für gesprochene Sprache wie für geschriebene an; sie sind absolute Erbenszähler und gehen mit ihrer Pedanterie ihren Mitmenschen auf den Geist. Die Korinthe ist die kleinste Rosinensorte und so legt der Rechthaber auf die noch so kleinen Dinge Wert. Zum Ärger der Anderen. Wollen Sie ein echter Korinthenkacker (schw.-dt.: Tüpflischisser; engl.: Nitpicker) werden, müssen Sie folgende Regeln beherrschen.

  1. Sie regen sich darüber auf, wenn Ihr Gegenüber häufige Rechtschreibfehler wie einzigster und in keinster Weise in der gesprochenen Sprache verwendet. Gerne machen Sie sich über ihn in seiner Ab- und Anwesenheit darüber lustig.
  2. Für Sie zeugt es von ganz schlechtem Stil, wenn jemand weil mit einer Verbzweitstellung kombiniert. Weil das hört sich so furchtbar an. Dass Sie selbst diese Konstruktion im Gesprochenen benutzen, leugnen Sie konsequent, selbst wenn man Sie darauf aufmerksam macht. Und auch dann leugnen Sie es noch, wenn man eine wissenschaftliche Begründung dafür liefert, dass weil mit Verbzweitstellung im Gesprochenen durchaus sinnvoll sein kann. Ein Artikel dazu folgt, vorab sei diese Geschichte kurz erzählt: Wir diskutierten in einem Syntaxkurs an der Universität über weil mit Verbzweitstellung. Eine Studentin wehrte sich vehement gegen diese Form. Ihre Begründung: „Weil mit Verbzweitstellung ist gar kein gutes Deutsch, weil ich finde das einfach nicht schön“. Das ließ der Professor schmunzelnd so im Raum stehen.
  3. Sie verteufeln die Bayern, die den Relativsatz mit der wo beginnen. Und überhaupt, Bairisch weist für Sie eine unglaublich schlimme Grammatik auf! Dass das „Hochdeutsche“ bzw. wissenschaftlich korrekt „Standarddeutsche“ jünger und künstlicher ist und zudem seine Ursprünge in den Kanzleisprachen, die auf Schriftsprache beschränkt waren, liegt, interessiert Sie nicht. Übrigens, wissenschaftlich korrekt hat das Hochdeutsche mehr mit Bairisch gemein als das Standarddeutsche. Denn dabei handelt es sich um eine sprachregionale Abgrenzung zum Niederdeutschen. Alles, was unterhalb der Benrather Linie liegt (also unterhalb von Düsseldorf, Kassel und Frankfurt a. O.), spricht seit der zweiten Lautverschiebung (ab ca. 500 n. Chr.) Hochdeutsch. Wenn die meisten von „Hochdeutsch“ sprechen, meinen Sie eigentlich Standarddeutsch.
  4. Anglizismen haben für Sie grundsätzlich nichts im deutschen Wortschatz verloren. Dass Sie Gallizismen, lateinische und altgriechische Fremdwörter stattdessen als besonders schön und als Zeichen von Eloquenz ansehen, finden Sie nicht komisch. Immerhin ist Englisch so leicht zu lernen, deswegen kann die Sprache gar nicht ausgefeilt sein. Finden Sie als Deutscher mit denselben Sprachwurzeln. Und dass Spracheinflüsse der Mode unterworfen ist, haben Sie mal gehört, aber für Sie hält diese Mode wirklich schon zu lange an.
  5. Wenn jemand den Dativ statt dem Genitiv benutzt, flippen Sie regelrecht aus. Sprache soll bleiben, wie sie ist. Jegliche Veränderung sehen Sie negativ. Früher war alles besser! Das ist dem Genitiv sein endgültiger Tod (und das hat ja auch schon Volksprophet Bastian Sick gesagt)!
  6. Das macht (keinen) Sinn. Dieses Sprichwort hassen Sie wie die Pest. Denn: Es wurde aus dem Englischen übernommen und macht im Deutschen keinen Sinn. Und Englisch mögen Sie ja sowieso nicht, sobald es den englischen Sprachraum überschreitet. Dass jeder die Phrase versteht und benutzt, ist Ihnen egal. Ob sinnvoll oder nicht, Sie lehnen die Übersetzung von That makes sense im Deutschen ab.
  7. Als Unding sehen Sie außerdem ein fehlendes zu nach dem Verb brauchen an. Schon immer hieß es, du brauchst nicht zu meckern und nicht du brauchst nicht meckern! Diese Regel haben Sie sich schon sehr früh eingeprägt: „Wer brauchen nicht mit zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen.“ Und das soll bitteschön auch so im gesprochenen Deutsch sein. Jeder andere braucht das nicht (zu) verstehen.
  8. Sie merken, ich bin dem Korinthenkacker nicht wohlgesonnen. – Kaum gesagt, schon lacht der Korinthenkacker herzlich. Unter Tränen ruft er triumphierend: „Wohlgesonnen gibt es gar nicht, das Adjektiv heißt korrekt wohlgesinnt, ein Verb *wohlsinnen gibt es nicht, so kann es auch kein Partizip II wohlgesonnen geben!“. Ach, es macht so viel Spaß, sich mit einem Korinthenkacker zu unterhalten.
  9. Beziehungsweise verwenden Sie nie synonym zu und/oder, sondern nur im Sinne von genauer gesagt. Liebe Leser bzw. Leserinnen, bitte verwenden Sie nie diese gefettete Anrede, der Korinthenkacker bekommt sonst einen Herzinfarkt!
  10. Sie sind ständig auf der Suche nach Fehlern. Nicht weil Sie Ihr Gegenüber nicht verstehen, sondern weil Sie sich dann Ihrem Gegenüber intellektuell überlegen fühlen können. Und nach diesem Gefühl gieren Sie. Als Tarnung sprechen Sie allerdings von Sprachverfall und dergleichen Gründen, obwohl Sie genau wissen, dass Sprache nicht schlechter wird, sondern sich zwangsläufig ändert, ein Effekt davon, dass sie aktiv gebraucht wird. Eigentlich wollen Sie nur Ihr Ego polieren und beweisen, wie toll Sie damals in der Schule aufgepasst haben, wie fleißig Sie Bastian Sicks Zwiebelfisch lesen und all das Auswendiggelernte, aber nie Verstandene reproduzieren können. Und Bastian Sick hat natürlich immer Recht, da muss man ausnahmsweise kein Korinthenkacker sein und braucht das gar nicht zu hinterfragen.

 

Auch unser Autor Michael Sailer hat über Sprachpedanterie geschrieben: Wie man denkt und wie man spricht und wie sich beides verbindet.

In einer Sache bin ich persönlich aber gerne eine Korinthenkackerin. Nämlich wenn es um gendergerechte Sprache bzw. um das Nachdenken darüber geht. Der Korinthenkacker notiert: Es geht ihr nicht um die gendergerechte Sprache, sondern genauer gesagt um das Nachdenken darüber. Das macht Sinn. Lesen Sie selbst!

 

Bild: Gratisography.com

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Aufgewachsen in einer bayerischen Kleinstadt, in der (leider) wenig Bairisch gesprochen wird, nahe der Weißwursthauptstadt München entdeckte ich während meines Lehramtsstudiums die Linguistik für mich. Das Lehramtsstudium gibt es jetzt nicht mehr, die Linguistik ist geblieben. Im Sommer 2013 habe ich meinen Magister in der Linguistik, in DaF und der Lateinischen Philologie abgeschlossen und arbeite seither in der Onlinebranche. Der Blog und damit auch die Linguistik sollen bleiben. Weitere Infos über mich findet man auf Google+ und Twitter.

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