Es ist ein verbreitetes Vorurteil, daß Menschen, denen die Sprache wie ein verkrauteter Selleriekopf aus dem Mund und dem Griffel hervorstrunkt, trotzdem im Kopf ein trefflich geordnetes, sinnhaft kohärentes Bild der Welt und ihrer selbst spazieren tragen können. Solange man ungefähr mitkriegt, was gemeint ist, meint man, sei schon „alles klar“ und nichts verloren. Dabei hegt aber selbst der schwurbeligste Rudimentärplapperer zumindest die leise Ahnung, an der alten Weisheit, wer nicht richtig sprechen könne, könne auch nicht richtig denken, sei was dran: Weshalb täte er sonst hordenweise in die Fußgängerzonen drängen und Stapelhallen mit sogenannten „Sprachbestsellern“ leerkaufen?
Und es ist ja auch klar: Wer zum Beispiel keinen Unterschied macht zwischen „herein“ und „hinein“, wer Menschen aus einem Raum, in dem er selbst sich aufhält, „rauswerfen“ möchte, wer eine Treppe nicht „hinauf“, sondern notfalls auch noch „hochgeht“ oder „hochkommt“ (ohne dabei eine Bombe beziehungsweise eine Magenverstimmung zu imaginieren), der weiß auch nicht, wo er ist, steht, herkommt und hingeht; und das indes – so lehrt’s die Lebensweisheit – ist durchaus wichtig.
Also kauft man sich Lernbücher, jedoch nicht weil man das nachvollziehbare Bedürfnis empfindet, den eigenen Kopf in eine annehmbare Ordnung zu bekommen, sondern weil man im Bewerbungsschreiben nichts allzu „falsch“ machen möchte. „Laßt euch was einfallen“, sagte uns einst ein Lehrer im Kunstunterricht mit offenbarer Abneigung gegen das Professionsgewese: „Als Abteilungsleiter braucht ihr auch Ideen!“ Da will er hinein, der moderne Mensch: ins Berufsleben, und da darf er nichts verhauen, weil man ihn sonst verlacht – „Ha ha! Falscher Dativ!“
Und so sind aus den einstmals höchstens scheel angesehenen Pedanten des Worts messianische Massenidole geworden, die mit dem Ferrari durch die Wüste des entarteten Sprechens preschen und hie und da ein paar Brosamen fallen lassen, pfiffig besserwisserisch-augenzwinkernd formuliert wie die längst zum Kulturgut und Sprichwort erhobene Sentenz, der Dativ sei „dem Genitiv sein Tod“. Solcherlei umwolken sie mit Sprachschaum, der in erster Linie dazu dient, die Dinge zu verwirren.
So behauptet etwa der Urheber des soeben zitierten Spruchs unverdrossen, hinter der Präposition „trotz“ werde „heute“ „standardsprachlich“ der Genitiv verwendet, und weist in seiner entsprechenden Tabelle, die dem Bewerbungsschreiber zum Spicken dienen soll, dem „dank“ denselben Kasus zu, ohne zu erläutern, weshalb das denn nun angeblich so sein soll, wo doch ein jeder Denkende nicht nur in diesem Fall sofort einen Satz parat hätte, der mit „Trotzdem …“ und also einem Dativ anhebt, Gott (und nicht: „Gottes“) sei Dank.
Und so ist’s ja auch logisch: Man dankt nicht „jemandes“, sondern jemandem, man trotzt nicht „eines“, sondern einem widrigen Umstand. Genauso übrigens steht man einem (und nicht „eines“) Lieben nahe oder gegenüber, genauso folgt man jemandem (was die Phrase „zufolge des Berichts“ als blanken Unfug entlarvt), notfalls samt (also: zusammen mit) einem ganzen Troß. Hingegen ist es eine Folge des (und nicht „dem“) In-den-Finger-Schneidens, daß man blutet; dies tut man also infolgedessen.
Es gilt halt auch umgekehrt: Wer nicht richtig sprechen kann, kann nicht richtig denken; wer aber einigermaßen zu denken in der Lage ist, wird dank diesem Können und trotz all den Beratern und ihrer Besserwisserei leidlich richtig sprechen, und zwar ohne großes Nachdenken (und nicht „großen Nachdenkens“).
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Bild: gratisography.com
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